Fünf Schritte zur europäischen Bankenunion
Bruegel-Direktor Jean Pisani-Ferry und sein Stellvertreter Guntram Wolff zu Chancen und Risiken des neuen EU-Projekts
Die Chefs der Eurozone haben beschlossen, eine Bankenunion zu gründen. Damit wollen sie den Teufelskreis aus schwachen Banken und zahlungsunfähigen Staaten durchbrechen. Dies ist ein wichtiger Schritt und eine angemessene Antwort auf die zunehmende finanzielle Fragmentierung des Europäischen Währungsraums. Mitte September hat die EU-Kommission ihre Vorschläge für eine gemeinsame Bankenaufsicht vorgelegt. Die Diskussion über diese Vorschläge wird bald beginnen. Sie wird zwangsläufig sehr komplex, technisch und kontrovers verlaufen. Denn das Misstrauen ist groß, und die Ansichten zwischen den Euroländern sind sehr verschieden. Dennoch ist es wichtig, die Debatte zum Erfolg zu führen. Dazu soll unser Fünf-Punkte-Plan beitragen.
1. Streben Sie eine umfassende Lösung an. Eine echte Bankenunion muss nicht nur eine Aufsicht umfassen, wie sie derzeit diskutiert wird. Es geht auch um Abwicklung - also die Frage, wie wir mit maroden Finanzinstituten umgehen - und um den Zugang zu einer gemeinsamen finanziellen Absicherung. Alle drei Elemente gehören zusammen. Eine gemeinsame Aufsicht ohne gemeinsame Einlagensicherung würde darauf hinauslaufen, dass die nationalen Steuerzahler für die Fehler der EZB-Aufsicht zahlen müssen. Eine gemeinsame Einlagensicherung ohne gemeinsame Abwicklung würde ebenfalls Konflikte auslösen. Denn die nationalen Abwicklungsbehörden würden geradezu aufgefordert, die Kosten auf den europäischen Steuerzahler zu verlagern, anstatt die Geldgeber der Bank zur Verantwortung zu ziehen. Wenn ein Element fehlt oder schlecht entwickelt wird, würde das gesamte System geschwächt. Genau wie die Raumfähre Challenger, die wegen einer winzigen Versiegelung am rechten Triebwerk nach dem Start explodierte, wird auch die Bankenunion nur so stark wie ihr schwächstes Glied sein. Wenn auch nur ein kleines Element falsch konzipiert wird, könnte dies den Erfolg des gesamten Unternehmens gefährden.
2. Verwechseln Sie Erblasten nicht mit permanenten Kosten. Marode Banken sind ein Alptraum, aber eine Bankenunion ist kein Krankenhaus. Sie ist nur für jene Banken gedacht, die so gesund sind, dass sie ein robustes Screening überstehen. Die Kosten für Bad Banks sollten jenen überlassen werden, die sie in erster Linie verursacht haben, d.h. die Gläubiger der Banken und die nationalen Aufseher. Die einzige Ausnahme sollte für den Fall gemacht werden, dass die Solvenz eines Staates in Gefahr gerät. In diesem Fall sind Partnerländer so oder so betroffen. Es ist daher ratsam, eine direkte Rekapitalisierung durch eine europäische Institution durchzuführen. Wir möchten nochmals betonen, dass dazu zumindest die Anfänge einer gemeinsamen Bankenaufsicht und einer gemeinsamen Abwicklung benötigt würden.
3. Lassen Sie sich nicht ablenken. Die Bankensysteme in Europa sind heterogen. Frankreich hat fast nur systemrelevante Banken, während das Deutsche System die Deutsche Bank umfasst - eine Institution von Weltklasse -, aber auch eine große Zahl kleiner Sparkassen. Deutschland hat sechs verschiedene Einlagensicherungssysteme. Der Versuch, Einlagensicherungen miteinander zu verschmelzen, wäre extrem zeitaufwendig und würde viel politisches Kapital verzehren, und das für einen sehr begrenzten Nutzen.
4. Bereiten Sie sich auf das Schlimmste vor. Eine gute Abwicklungsstrategie zielt darauf ab, die Kosten für die Steuerzahler zu minimieren, und zugleich die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität zu sichern. Die Beteiligung der Gläubiger und die Schließung von Banken sind in dieser Hinsicht sehr wichtig. Aber die Geschichte zeigt auch, dass große Bankenkrisen hohe fiskalische Kosten verursachen: in einem Drittel der Fälle von Bankenkrisen in hochentwickelten Ländern überstiegen die direkten Kosten für das Staatsbudget 10 Prozent des BIP. Solch enorme Kosten allein den nationalen Steuerzahlern zu überlassen, könnte die Zahlungsfähigkeit des Staates gefährden. Die aktuell in der Eurozone zu beobachtende Disintegration der Finanzwirtschaft und der Realwirtschaft sind logische Folgen dieses Problems. Der erfolgreiche Aufbau der Bankenunion ist daher eine unverzichtbare Voraussetzung für fiskalische Lastenteilung.
5. Setzen Sie die richtigen Anreize. Der Aufbau eines gemeinsamen finanziellen Sicherungssystems wirft wichtige Fragen auf. Es geht dabei um mögliche Verteilungsprobleme, die Beiträge zum Versicherungspool sowie den viel beschworenen moral hazard. Das System muss so angelegt werden, dass es die richtigen Anreize setzt. Dies bedeutet, dass die nationalen Steuerzahler immer einbezogen werden sollten. Es heißt aber auch, dass Vereinbarungen zur Lastenteilung getroffen werden müssen, bevor die Kosten auftreten. Es wäre falsch, auf eine „konstruktive Vieldeutigkeit“ zu setzen, denn dies wäre in einer Krise nicht sehr glaubwürdig. Die finanzielle Sicherung muss daher von einer robusten Institution getragen werden, die auch schwere Krisen überstehen kann. Dafür können verschiedene Optionen in Betracht gezogen werden. Ein europäischer Fond, der sich aus Beiträgen der Finanzindustrie finanziert, hätte große Vorteile. Aber es wäre unwahrscheinlich, dass er in den nächsten zehn Jahren über ausreichende Eigenmittel verfügt. Der ESM könnte ebenfalls als finanzielle Sicherung dienen. Er wäre bei einer dramatischen Bankenkrise zwar überfordert, hat jedoch den Vorteil, über eine klare Entscheidungsstruktur zu verfügen. Langfristig sollte man eine europäische Steuer mit einer angemessenen demokratischen Legitimierung in Betracht ziehen.
Die Bankenunion ist ein wichtiges Element in dem Versuch, die Fragmentierung der Eurozone abzuwenden. Sie kann Schritt für Schritt aufgebaut werden, darf jedoch nicht unvollendet bleiben.
Dieser Beitrag beruht auf dem kürzlich veröffentlichten Bruegel Policy Brief No 2012/02 The Fiscal Implications of a Banking Union