Eine schwierige Beziehung
Bruegel-Forscher Georg Zachmann zu politischen und ökonomischen Hintergründe des Streits zwischen EU und Gazprom
Die europäisch-russischen Beziehungen im Energiesektor haben mit der Eröffnung eines formellen EU-Wettbewerbsverfahrens gegen den russischen Gasversorger Gazprom im September 2012 eine neue Wendung erfahren. Die Reaktionen auf diese Entscheidung, die mit Gazproms Preispolitik in Europa begründet wurde, sind ein Beispiel für die zwiespältige Natur von Energiebeziehungen. Während die Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission betont, dass das Verfahren rein ökonomische Gründe habe, unterstellt Präsident Putin politische Motive. In Wahrheit liegt keiner der beiden Protagonisten falsch. Der Handel von Gas zwischen Russland und Europa hat immer eine politische Dimension. Da Erdgas relativ günstig im Osten produziert und relativ teuer im Westen verkauft werden kann, ist die entscheidende Frage, wie der Profit zwischen dem Versorger, den Transitländern und den Konsumenten verteilt wird.
Diese Frage kann nicht rein ökonomisch beantwortet werden, da Eingriffe in den Markt, der Aufbau der Infrastruktur, die Besteuerung und ähnliche Dinge im Kern politische Entscheidungen sind, die die Verteilung des Profits beeinflussen. Die Wettbewerbspolitik ist dafür ein gutes Beispiel. Wenn eine starke Wettbewerbspolitik den Gaspreis drückt, indem sie ihn vom Ölpreis abkoppelt, wie dies die GD Wettbewerb fordert, dann bringt dies nicht nur eine Verschiebung der wirtschaftlichen Gewinne von den Gaslieferanten zu den Gaskonsumenten mit sich. Es führt auch zu zu einer Umverteilung von den Export- zu den Importländern. Dementsprechend muss man auch mit einer politischen Reaktion des Exportlandes rechnen, deren Ausmaß vom politischen Spielraum abhängt.
Aber, das EU-Wettbewerbsverfahrens adressiert auch eine wichtige Dimension ökonomischer Effizienz. Der europäische Energiebinnenmarkt ist noch weit entfernt von seiner Vollendung. Wettbewerbsfeindliche Praktiken von heimischen Playern und Exporteuren sind vermutlich ein wichtiger Grund für die schlechte Integration der europäischen Gasmärkte. Eine der strittigen Praktiken besteht in so genannten „Destination clauses“, deren Verwendung die GD Wettbewerb Gazprom vorwirft. Diese Anklage erscheint rational, da eine solche Strategie im Interesse von Gazprom und einigen Gasversorgern läge. In östlichen EU-Mitgliedsländern kann Gazprom weitgehend die Preise bestimmen, da diese Länder kaum Alternativen haben.
In den westeuropäischen Ländern hingegen können alternative Versorger mit Gazprom um Marktanteile konkurrieren. Allerdings wäre es vielversprechend für jeden Exporteur, der sich in einer solchen Lage befindet, die Märkte zu trennen, um das Höchstmaß an Marktmacht auszuüben, indem er höhere Preise im Osten verlangt und niedrigere Tarife im Westen akzeptiert. Das unterschiedliche Verhalten von Gazprom bei der Neuverhandlung von Gaslieferverträgen seit 2009 - eher entgegenkommend bei deutschen Versorgern, restriktiv bei osteuropäischen EU-Staaten - passt zu dieser Strategie. Eine preisliche Diskriminierung, die durch Destination clauses umgesetzt wird, hindert die Kunden von Gazprom daran, Vorräte weiter zu verkaufen, die sie selbst nicht brauchen.
Lokale Anbieter haben möglicherweise keinen Grund, derart wettbewerbsfeindliche Praktiken offenzulegen, da sie selbst davon profitieren. Anschlussverträge würden den Wettbewerb zwischen örtlichen Anbietern verhindern, die Gas bei Gazprom kaufen, und diesen es so ermöglichen, exzessive Gewinne auf Kosten der Endverbraucher zu erzielen. Deshalb wird die Abschaffung von Destination clauses die Effizienz des Binnenmarkts erhöhen. Ein entsprechendes Wettbewerbsverfahren ist daher eine angemessene Aufgabe für die EU-Kommission.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Energiebeziehungen immer eine ökonomische und eine politische Dimension haben. Daher können unilaterale Entscheidungen, die die Effizienz des EU-Energiemarkts verbessern sollen, durchaus als Versuche gewertet werden, die politische Balance zu verschieben. Dies könnte in eine Sackgasse führen, in der keine Partei mehr in der Lage wäre, die Effizienz ihrer Energiepolitik zu verbessern - aus der Angst heraus, dass eine Reform entweder dem Partner Vorteile verschafft (z.B. eine Öffnung des russischen Gasmarkts), oder dass der Partner Reformen auf dem Heimatmarkt als Versuch missversteht, einen höheren Teil des Gewinns selbst einzuheimsen (z.B. die Wettbewerbspolitik in der EU). Daher sind vertrauensvolle Energiebeziehungen der Schlüssel dafür, dass beide Partner die Vorteile ihrer Zusammenarbeit maximieren und zugleich gerecht verteilen können.