Europa sinnvoll gestalten
Die Debatte um die Zukunft Europas sollte gerade in Deutschland konstruktiv geführt werden. Es profitiert von einer stabilen EU und trägt entscheidend
This blog post was originally published in Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Weder gute Wachstums- und Beschäftigungszahlen noch das schlechter als erwartete Abschneiden der Populisten in den Niederlanden oder Frankreich können über die Sinnkrise der EU hinwegtäuschen. Die Erklärung von Rom versucht zwar, Einigkeit zu demonstrieren, und das "White Paper" der EU-Kommission skizziert Optionen für die Weiterentwicklung der Union. Doch werden die zentralen wirtschaftspolitischen Fragen nicht angegangen.
Die Debatte um die Zukunft Europas sollte gerade in Deutschland konstruktiv geführt werden. Es profitiert von einer stabilen EU und trägt entscheidend zur Fortentwicklung Europas bei. Oft verliert sich die Diskussion aber in Abwehrreflexen oder theoretischen Abhandlungen. Einer zentralen Diskussion wird man sich stellen müssen: Wie kann die Stabilität des Euroraums erhöht werden? Denn trotz aller Reformen bleibt der Euroraum instabil. Der Euro wird immer anfälliger für politische Risiken sein als eine Währung in einem echten Bundesstaat.
Die Hoffnung in Deutschland, zurück zu den ursprünglichen Maastricht-Regeln zu kommen, ist aber bestenfalls naiv. Weder die No-bail-out-Klausel noch die Haushaltsüberwachung sind derzeit glaubwürdig, sie waren es auch nicht vor der Krise. Die No-bail-out-Klausel wurde ja auch mit Zustimmung Deutschlands außer Kraft gesetzt, weil ihre Anwendung in Griechenland zu einer Finanzkrise geführt hätte. Umgekehrt funktioniert die Haushaltsüberwachung nicht, weil kein Mitgliedsland ernsthaft bereit ist, sich von Brüssel seine Haushaltspolitik vorschreiben zu lassen. Auch Deutschland hat mehrmals gegen die Regeln gestoßen. Genauso naiv wäre es aber, von einer zentralisierten Föderation zu träumen. Die in Brüssel diskutierte Sozialunion verwirrt eher, als dass sie positiv wirkt.
Der erste Schwerpunkt eines sinnvollen Reformansatzes sollte auf der Stabilität des Finanzsystems liegen. Damit kann man eine unerwünschte Vergemeinschaftung der Kosten einer Staatsinsolvenz durch die Beteiligung privater Gläubiger verhindern. Zweitens würde die dadurch gewonnene Glaubwürdigkeit es erlauben, endlich die ineffektiven Rituale des Stabilitätspaktes hinter sich zu lassen. Wer den Regeln nicht folgt, trägt selbst die Verantwortung und muss im Extremfall mit einer Staatsinsolvenz leben. Die Regeln könnten dann also vor allem von nationalen Institutionen überwacht werden.
Grundsätzlich sollte es europäische Hilfsprogramme nur geben, wenn die Schulden tragfähig sind. Aber nach den Erfahrungen mit der griechischen Schuldenkrise sind Zweifel angebracht, ob die Eurozone in ihrer aktuellen Form die Kraft hätte, ein Programm von der Beteiligung privater Gläubiger abhängig zu machen. Diese Frage könnte noch akut werden, wenn die Zinsen steigen, während das Wachstum in einigen Ländern schwach bleibt.
Echte Föderationen wie die Vereinigten Staaten haben die Verantwortung für das Finanzsystem komplett zentralisiert. Dadurch bleibt das Finanzsystem stabil, auch wenn es in einem Bundesland zu Turbulenzen kommt. Finanzstabilität in einer Währungsunion kann letztendlich nur auf Ebene der Union sinnvoll bereitgestellt werden.
Was sind die nächsten Schritte für das Finanzsystem des Euroraums? Ein europäisches Einlagensicherungssystem ist für Stabilität genauso wichtig wie Bilanzobergrenzen für Staatsanleihen in Banken und konkrete Schritte, die Bilanzen zu reinigen. Institutionell wäre es denkbar, den bestehenden Abwicklungsfonds mit einem neu zu schaffenden europäischen Einlagensicherungsystem zu verschmelzen. Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) könnte als Sicherung hinter dieser Behörde stehen. Dies würde die Bankenunion vervollständigen und die notwendige Ergänzung zu der gemeinsamen Bankenaufsicht darstellen. Der ESM würde sich also zu einer Art EU-Währungsfonds entwickeln, der mit Staatspleiten umgeht und gleichzeitig das Finanzsystem stabil hält.
Die Glaubwürdigkeit würde gestärkt, wenn Kapitalmärkte vertieft und europäisiert würden. Dadurch könnten die Abhängigkeit von Banken reduziert und asymmetrische Schocks abgefedert werden. Hierfür müsste die Kapitalmarktunion ernsthaft angegangen werden; man müsste etwa beim Insolvenzrecht zu einer größeren Harmonisierung kommen.
Die Eurozone hat ein Paradox zu lösen: Will sie größere Eigenverantwortung für nationale Haushaltspolitik, dann muss sie größere Zentralisierung bei Banken- und Finanzfragen akzeptieren. Eigenverantwortung für Staaten, und damit eine glaubwürdige No-bail-out-Klausel, kann nur bei einem stabilen Finanzsystem funktionieren.
Eine stärkere Kapazität für Investitionen und öffentliche Güter würde ebenfalls zu Stabilität in der Eurozone beitragen. Die Eurozone leidet darunter, dass sie sich bei niedriger Inflation lediglich auf die EZB verlassen kann, um das Inflationsziel zu erreichen. Die EU hat nicht genug Mittel, die Zentralbank sinnvoll zu unterstützen.
Es ist Zeit, in Deutschland eine ehrliche Debatte über Europa zu führen. Dabei müssen auch die schwierigen Themen angegangen werden. Deutschland muss Verantwortung für eine stabilere Euroraumarchitektur übernehmen, auch wenn das kurzfristig Kosten bedeuten kann, wie den Beitrag zum Einlagensicherungssystem. Es geht Deutschland auch dank des Euros so gut wie lange nicht mehr. Der langfristige Nutzen überwiegt bei weitem die kurzfristigen Kosten. Sei es in Sachen Griechenland oder in Bezug auf die immer noch schwache Nachfrage in Deutschland: Europa schaut auf Deutschland und ist unzufrieden mit dem Status quo. Der hier skizzierte Ansatz wäre eine Möglichkeit für einen Kompromiss.