Wie alles anfing
„Ich habe mich nicht für jede französische, deutsche, oder deutsch-französische Initiative begeistert, aber diese hier war die Unterstützung wert“. Mi
Bruegel-Direktor Jean Pisani-Ferry über die deutsch-französischen Wurzeln des Thinktanks
„Ich habe mich nicht für jede französische, deutsche, oder deutsch-französische Initiative begeistert, aber diese hier war die Unterstützung wert“. Mit diesen für ihn typischen Worten stellte der erste Chairman Mario Monti den Thinktank Bruegel am 18. Januar 2005 der Presse vor.
Zwei Jahre zuvor, am 22. Januar 2003, hatte die Idee zur Gründung Bruegels kräftigen Rückenwind erhalten: Präsident Chirac und Kanzler Schröder hatten aus Anlass des 40. Jahrestags des Elysée-Vertrags eine gemeinsame Erklärung herausgegeben. In dieser Erklärung hielten die beiden Staats- und Regierungschefs folgendes fest: „Damit Europa voll und ganz zu den internationalen Debatten der Wirtschafts-, Finanz- und Handelspolitik beitragen kann und über eine noch größere Analyse- und Vorschlagskapazität verfügt, womit es seine Stellung in diesen Bereichen stärken kann, beschließen Deutschland und Frankreich eine europäische Initiative mit dem Ziel, ein Europäisches Zentrum für Internationale Wirtschaft zu schaffen, das diesen Zielen gewidmet ist. Dieses Zentrum könnte in Brüssel angesiedelt sein und sollte sich schrittweise allen europäischen Partnern öffnen – Mitgliedsstaaten, Institutionen der Gemeinschaft und privaten Akteuren.“
Bevor diese Erklärung veröffentlicht wurde, war das Projekt ausgiebig von Jean-Pierre Jouyet, damals Leiter des Schatzamts im französischen Finanzministerium, und seinem Amtskollegen Caio Koch Weser, dem deutschen Staatssekretär, diskutiert worden. Beide waren außergewöhnliche Staatsdiener. Jean-Pierre, ein ehemaliger Stabschef von Jacques Delors in der EU-Kommission, hatte bereits in verschiedenen Thinktanks in Frankreich mitgewirkt und glaubte an den Nutzen offener Debatten. Caio hatte als Vizepräsident der Weltbank gearbeitet und sehnte sich nach den „brown-bag“ Meetings (informellen Mittagessen am Arbeitsplatz) zurück, bei denen politische Ideen Gestalt annahmen. Als die Bruegel-Idee aufkam, trieben sie sie gemeinsam voran - anstatt ein Dutzend Gründe zu finden, warum sie nicht weiterverfolgt werden könne, wie man es von Männern in ihrer Position hätte erwarten können. Die beiden Finanzminister Hans Eichel und Francis Mer standen neuen Ideen ebenfalls aufgeschlossen gegenüber; zudem wünschten sie sich einen frischen Input für die Wirtschafts- und Finanzpolitik. Diese einmalige Konstellation machte es möglich, dass die zunächst verrückt erscheinende Idee schließlich offizielle Unterstützung erhielt.
Im nächsten Schritt ging es darum, den Entwurf in einen konkreten Businessplan umzusetzen. Die beiden Ministerien gründeten dazu eine gemeinsame Arbeitsgruppe. Christian Kastrup übernahm die Verantwortung auf deutscher Seite; ich war sein französischer Ansprechpartner. Wir arbeiteten bis September an den verschiedenen Aspekten des Projekts, einschließlich der Pläne für Struktur und Status der künftigen „European Centre for International Economics“. Diese Pläne wurden von Reiner König, damals Generaldirektor bei der Bundesbank, und dem späteren Bruegel-Forscher Nicolas Véron gemeinsam entworfen. An den ersten Plänen waren zudem Lionel Fontagné vom französischen Wirtschaftsforschungsinstitut CEPII und Willi Leibfritz von der OECD beteiligt.
Beide Seiten stimmten darin überein, dass das künftige Forschungszentrum keine bilaterale Einrichtung werden sollte. Dies war auch einer der Gründe, weshalb Brüssel als Sitz ausgesucht wurde. Schon frühzeitig wurde Peter Praet eingeschaltet, der damals Direktor bei der belgischen Zentralbank war (und nun Mitglied des EZB-Direktoriums ist). Peter - ein weiterer Visionär - war sofort begeistert und bat seinen Berater Stéphane Rottier, ihm zu helfen, die letzten Hürden zu überwinden.
Im September 2003 luden Caio und Jean-Pierre ihre Kollegen vom Wirtschafts- und Finanzausschuss (EFC) ein, sich in die Debatte einzuschalten. Die meisten Mitglieder nahmen in der Folge an einer Serie von Treffen in Brüssel teil, die gemeinsam mit der EU-Kommission und der EZB veranstaltet wurden. Die Kommission sah das Projekt mit wechselnden Gefühlen: Pascal Lamy, damals Handelskommissar, sagte seine volle Unterstützung zu, während Finanzkommissar Pedro Solbes die Sorge hatte, dass die Mitgliedstaaten Bruegel als konkurrierende Quelle für Expertise und Vorschläge nutzen könnten. Die Kommission nahm zwar an allen Diskussionen teil. Doch am Ende kam man gemeinsam zu der Auffassung, dass es besser wäre, wenn sie sich zurückziehen würde. Dies sollte sich als exzellente Entscheidung erweisen. Sie bereitete den Weg für eine fruchtbare Arbeitsbeziehung mit den europäischen Institutionen.
Im März 2004 waren die Gespräche mit den Regierungsvertretern beendet. Nun war es Zeit, zu entscheiden, wer dem neuen Thinktank beitreten würde. Deutschland legte großen Wert darauf, dass Großbritannien mit an Bord kam. Doch als er gefragt wurde, sagte der britische EFC-Vertreter Jon Cunliffe (der heutige EU-Botschafter) mit einem humoristischen Unterton: „Wir sind nicht sehr gut, wenn es um Beitritte geht.“ Dennoch stimmte er schließlich einer britischen Beteiligung zu - unter der Bedingung, dass Bruegel klein starten und seinen Nutzen in den ersten drei Jahren unter Beweis stellen würde. Die Incentives wurden so von vornherein richtig gesetzt: Zeige Leistung, oder gehe unter.
Ein anderes wichtiges frühes Mitglied war Polen. Es war damals zwar noch nicht einmal EU-Mitglied. Doch alle EU-Anwärter waren eingeladen worden, sich an der Diskussion zu beteiligen. Und das Warsaw Office for European Integration (UKIE) legte großen Wert darauf, von Anfang an dabei zu sein. Und so kam es, dass der neue Thinktank, der damals noch nicht einmal seinen jetzigen Namen hatte, von 12 Staaten gegründet wurde.
Nun blieb nur noch, private Partner zu finden und konkrete Pläne für Forschung und Organisation zu schmieden. Zu diesem Zweck wurde eine Lenkungsgruppe unter Leitung von Sigurd Naess-Schmidt gegründet, der aus dem dänischen Finanzministerium kam. Ich wurde als Projektmanager eingestellt, und gemeinsam mit Nicolas warben wir um die Gunst privater Unternehmen, die ebenfalls beitreten sollten. Der Mitgliedsbeitrag war hoch und wir konnten noch nichts vorzeigen. Es war also kein leichter Job, doch schließlich konnten wir mit 17 Corporate Members starten. Auf akademischer Seite wurde ein Forschungsbeirat gegründet. Darin saßen Peter Neary aus Oxford und Paul Seabright aus Toulouse, der später der erste Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats werden sollte. Außerdem war da noch Jaume Venture aus Barcelona, mit dem wir die Forschungsstrategie diskutierten.
Wir hatten allerdings immer noch keinen Vorsitzenden gefunden - und keinen Namen. Mario Monti, dessen Amtszeit bei der Kommission ihrem Ende zuging, zeigte sich freundlicherweise bereit, das Risiko einzugehen, als erster Vorsitzender anzutreten. Danach fragte er mich, wie wir das Zentrum nennen würden. Ich legte ihm mehrere Namen vor, die wir uns ausgedacht hatten. „Kann ich ein wenig darüber nachdenken?“ fragte er höflich. „Selbstredend“, hieß meine Antwort. Am nächsten Tag kam er mit seinem Vorschlag: Bruegel.